«Breite Gentechdebatte mit neuer Gelassenheit starten»
Carte Blanche für Didier Reinhardt von Forum Genforschung und Universität Fribourg
10.02.2022 – Eine nachhaltige Landwirtschaft braucht dringend neue Pflanzensorten. Nach Jahrzehnten des politischen Stillstands erkennen nun immer breitere Kreise, dass wissenschaftlich unbegründete Technologieverbote nicht zu verantworten sind.
Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und muss nicht mit der Haltung der SCNAT übereinstimmen.
Seit über 20 Jahren versucht die Schweiz den richtigen Umgang mit modernen Züchtungsmethoden zu finden. Es wurden weltweit enorme Ressourcen investiert, um das Potenzial und die Risiken der Gentechnik in der Pflanzenzüchtung zu evaluieren. In der Schweiz stellte das Nationale Forschungsprogramm NFP59 bereits 2011 fest, dass gewisse gentechnisch veränderte Sorten für die Schweiz interessant sein könnten, und dass grundsätzlich von der Gentechnik dieselben Risiken ausgehen wie von anderen Züchtungsmethoden. Anders gesagt: Jede neue Sorte sollte anhand ihrer Eigenschaften geprüft werden, unabhängig vom Züchtungsweg.
Trotz dynamischer Forschung gesetzgeberischer Stillstand
Inzwischen sind über 10 Jahre ins Land gegangen, und in der Forschung hat sich sehr viel getan. Die neuen Züchtungsmethoden sind präziser (Genom-Editierung) geworden und ihre Resultate können viel genauer analysiert werden (Genom-Sequenzierung). Gleichzeitig haben sich die gesetzlichen Grundlagen im Umgang mit neuen Züchtungsmethoden praktisch nicht weiterentwickelt. Dies ist zu einem guten Teil dem Gentech-Moratorium von 2005 geschuldet, das schon dreimal verlängert wurde und jede politische Entwicklung verhindert hat. Nun diskutiert das Parlament eine vierte Verlängerung, jedoch kommt eine neue Dynamik in die Debatte, denn die Argumente der Wissenschaft beginnen zu greifen: Im Zentrum steht die Frage, ob die neuen gentechnischen Methoden vom Moratorium ausgenommen und/oder im Gentechnikgesetz anders geregelt werden sollen als die klassischen gentechnischen Verfahren.
In Zeiten des Klimawandels, der Pestizidproblematik und anderer Herausforderungen braucht es dringend neue Sorten, um Ernährungssicherheit und nachhaltigen Anbau in der Schweiz zu sichern. Die neuen Züchtungsmethoden basierend auf der Genom-Editierung mit ihrer viel höheren Präzision bieten hier neue Chancen. Neue Züchtungsprogramme, die mit den klassischen Methoden Jahrzehnte brauchten, können in wenigen Jahren erreicht werden, da in einem Schritt mehrere Züchtungsziele angegangen werden können. Diese Vorteile haben nicht nur involvierte Wissenschaftlerinnen, sondern vermehrt auch Produzenten, Zwischenhändlerinnen und Konsumenten erkannt. So zeigen neuere Umfragen, dass die Bevölkerung offen ist für moderne Technologien, die einen klaren Mehrwert ausweisen. (Link)
Züchterische Optionen offenhalten
Der im letzten November gegründete Verein «Sorten für morgen» propagiert eine differenzierte Evaluation der neuen Pflanzenzüchtungsmethoden anhand von objektiven Kriterien. Zu seinen Gründungsmitgliedern gehören unter anderem die Grossverteiler Coop und Migros sowie bäuerliche Organisationen wie die Fenaco und der Verband der Gemüsezüchter. Auch der eher traditionelle Bauernverband sieht die Chancen der neuen Züchtungsmethoden und beteiligt sich an einem Vorstoss, den der SVP-Politiker Martin Haab Ende Januar in der Wissenschaftskommission des Nationalrats eingereicht hat. Dieser verlangt eine vorwärtsschauende und sachliche Diskussion der neuen Optionen statt pauschaler Verbote. Insbesondere wird gefordert, dass der Bundesrat bis spätestens Mitte 2024 verbleibende offene Fragen beantworten müsse, damit ein Übergang zu einer risikobasierten Zulassungsregelung für die neuen Züchtungstechnologien gewährleistet werden kann. Es geht darum, sich züchterische Optionen offenzuhalten, die mit bisherigen klassischen Züchtungsmethoden nicht zur Verfügung standen.
Die neue Offenheit ist erfreulich und dringend notwendig. Die vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass die Gentechnologie weder ein Wundermittel noch gefährliches Teufelszeug ist. Zu wünschen ist deshalb eine breite, wissenschaftlich fundierte Debatte mit einer neuen Gelassenheit und Sachlichkeit, um die Chancen der neuen Züchtungsmethoden für eine nachhaltige Landwirtschaft in der Schweiz nutzen zu können.
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Didier Reinhardt ist Mitglied des Forums Genforschung der SCNAT und Titularprofessor der Universität Fribourg.
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